Credit Suisse: Panikmache oder “Lehman Moment” für Europa?
Schweizer Unternehmen - und insbesondere Banken - genießen weltweit den Ruf von besonders hoher Sicherheit, Qualität und Verlässlichkeit. Dieses lupenreine Image hat seit dem ersten Oktoberwochenende einen deutlichen Kratzer bekommen. Denn ausgerechnet die Schweizer Großbank Credit Suisse befindet sich - wenn man verschiedenen Medien und Foren Glauben schenkt - in einem prekären Zustand, der Folgen für die gesamte Finanzwelt nach sich ziehen könnte. Erfahren Sie, wie es zu dem Kursrutsch der Credit Suisse Aktie von mehr als zehn Prozent innerhalb eines Tages kommen konnte, und ob die Angst mancher Marktteilnehmer vor einer neuen Finanzkrise tatsächlich angebracht ist.
Kursrutsch der Credit Suisse: Übertriebene Panik oder legitimer Warnschuss?
Die Aktie der Traditionsbank hat am 3. Oktober 2022 zeitweise zweistellig an Wert verloren; seit Jahresanfang stehen sogar -50 % zu Buche. Vor allem in Bezug auf die jüngsten Kursverluste dürften sogenannte “Meme Aktien”-Diskussionsforen wie Reddit und Twitter, auf denen User wilde Gerüchte über einen angeblichen Kollaps der Credit Suisse verbreitet hatten, eine wichtige Rolle gespielt haben. Mitglieder machten beispielsweise Scherze über eine sogenannte “Debit Suisse” oder schrieben Posts wie z.B.: ”Erinnert ihr euch an Lehman und die auf die Straße gesetzten Angestellten? Vielleicht wiederholt sich die Geschichte bald.” Sätze wie diese sind in der aktuell ohnehin von Krisen geprägten Marktstimmung Wasser auf die Mühlen der Investoren und könnten den Aktienkurs jedes Unternehmens - auch grundlos - unter Druck setzen.
Doch es gibt auch “handfeste” Argumente, die die Investoren des Schweizer Geldinstituts und die gesamte Finanzwelt zu Recht verunsichern. Vor allem grassieren Zweifel an der Finanzkraft des Instituts, weil die Absicherungskosten für Kreditausfallrisiken der Credit Suisse einen neuen Rekord erreicht hatten - weit über dem Höchstwert aus der Finanzkrise 2008. Ein Preisanstieg der Kreditausfall-Versicherungen (CDS) signalisiert, dass der Markt die Großbank für instabil hält - oder sogar auf deren Konkurs “wettet”.
Infolge des gefallenen Aktienkurses lag zudem der Börsenwert der Credit Suisse Anfang Oktober nur noch bei knapp elf Milliarden Franken. Das ist für eine Bank dieser Größenordnung durchaus besorgniserregend. Auch sinkende Erträge, Fehler beim Risikomanagement und eine Reihe von enorm kostspieligen Skandalen schüren Zweifel daran, ob es der CS gelingen wird, ihr Geschäft wieder auf eine solide Basis zu stellen.
Allein im vergangenen Jahr hatten zwei große Partner der Bank, der US-Hedgefonds Archegos und der Finanzdienstleister Greensill Capital, mit spektakulären Pleiten für Aufsehen gesorgt, die der CS Milliardenverluste bescherten. Der damit einhergehende Vertrauensverlust wirkte sich auch negativ auf das Kerngeschäft Vermögensverwaltung aus: Wohlhabende Kunden kehrten der Bank den Rücken, was in Summe in diesem Jahr zu einem Q2-Verlust von 1,6 Milliarden Franken geführt hat. Vor allem für das Investmentbanking sieht es auch im dritten Quartal nicht rosig aus: Analysten schätzen, dass die Erträge auf dem wichtigen US-Markt um die Hälfte oder mehr eingebrochen sein könnten.
Aus den genannten Gründen stellt sich für viele Marktteilnehmer und Investoren nun die Frage, ob der dringen nötige Konzernumbau überhaupt bezahlt werden kann. Eigentlich will sich die Führung der Großbank erst am 27. Oktober zur anstehenden, strategischen Neuausrichtung äußern. Angesichts der momentanen Lage könnte der neue CEO Ulrich Körner seine Restrukturierungspläne jedoch schon früher präsentieren und offenlegen, ob und welche Teile der Bank zur Umbau-Finanzierung verkauft werden sollen. Zudem steht auch eine Kapitalerhöhung im Raum.
Droht jetzt die Finanzkrise 2.0?
Einige Faktoren rund um die Credit Suisse erinnern tatsächlich stark an das Jahr 2007, als sich die Finanzkrise zugespitzt hat: Auch damals sind die Preise für Kreditausfall-Versicherungen schnell und stark angestiegen. Dazu kommen die aktuell volatilen Finanzmärkte, die hohe Inflation, die Rezessionsangst, ein starker Dollar sowie Sorgen um weltpolitische Gefahrenherde. Diese Gemengelage führt verständlicherweise zu der Befürchtung, dass wir am Rande einer weiteren Finanzkrise stehen könnten.
Doch die Credit Suisse ist aktuell noch weit von einem Zusammenbruch entfernt: Mit einer Kernkapitalquote von 13,5 Prozent zum Zeitpunkt des Halbjahresabschlusses liegen die Schweizer genau in der Mitte der selbstgesetzten Zielspanne von 13 bis 14 Prozent. Sollte diese Quote aber als Folge von weiteren Quartalsverlusten unter die 13-Prozent-Marken sinken, so stellt sich zumindest die Frage nach einer zeitnahen Kapitalerhöhung - eine Finanzkrise 2.0 ist aber selbst dann nicht spruchreif.