Gamification und Banking: Eine Win-Win-Konstellation mit Perspektive?
Unterhaltsames Gaming und die nüchterne Finanzwelt: Zwei Branchen mit innovativen Schnittmengen. Computerspiele und Gaming-Apps dienten bisher hauptsächlich dem Zeitvertreib und der Realitätsflucht, während Geldanlage und Banking eine sachliche Angelegenheit darstellten. Dieser Gegensatz scheint sich im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung immer mehr aufzulösen: Fintech-Unternehmen und Neobroker haben das Potenzial von „Gamification” für die Finanzbranche entdeckt.
Gamification ist ein richtungsweisender Trend, der die Prinzipien und Mechanismen aus Computerspielen in einen anderen Kontext, z. B. den wirtschaftlichen überträgt. Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert Gamification als „die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwenderinnen und Anwendern.”
Neu ist diese Idee freilich nicht. Spielerische Belohnungssysteme werden schon seit Jahrzehnten im Schulunterricht zur Motivation von Kindern eingesetzt. Auch Rabattmarken- oder Vielfliegerprogramme nutzen punktebasierte Systeme mit hierarchischen Levels zur Kundenbindung. Unternehmen haben längst erkannt, dass sie mit Gamification-Methoden innovative Prozesse fördern können, indem sie das Engagement von Kunden oder auch Mitarbeitern durch Incentives steigern.
Seit Kurzem halten nun gamifizierte Broker-, Investment- und Finanzverwaltungs-Apps in der Finanzbranche Einzug. Was versprechen sie?
Zwei Welten, drei Ziele: Finanzbildung, Usability und Kundenbindung
Traditionelle Banken sehen sich seit Jahren zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Das andauernden Niedrig- bzw. Nullzinsumfeld bedroht deren Kerngeschäft. Gleichzeitig spielt die rasch fortschreitende Digitalisierung der aufstrebenden Fintech-Konkurrenz in die Hände. Das erklärte Ziel der Fintechs ist es, die Finanzbranche mit transparenten, kostengünstigen, benutzerfreundlichen Technologien und Apps zu revolutionieren. Digitale Finanzprodukte verdrängen herkömmliche Bankendienstleistungen, indem sie den Kunden trotz Standardisierung einen an die individuellen Kundenwünsche angepassten, jederzeit verfügbaren und zugänglichen Service zu besten Konditionen bieten.
Zentral sind dabei intuitiv gestaltete Banking- oder Investment-Apps, die teils spielerische Features, wie persönliche Avatare, Trophäen für erreichte Ziele oder Sound-Effekte, aufweisen. Die Konsequenz aus dieser zunehmenden Digitalisierung und Gamification ist nicht weniger als ein Imagewandel der Banking-Branche: Geldanlage ist nicht mehr langweilig und bieder, sondern macht Spaß und ist Teil der Konsumwelt geworden.
Dabei verfolgt Gamification in der Bankenwelt primär drei Ziele: Finanzbildung, Usability und Kundenbindung. Ein Bankkunde möchte nicht zum Zeitvertreib spielen. Vielmehr stehen für ihn eine optimierte User Experience, Erreichbarkeit und Transparenz im Vordergrund. Jedes Gamification-Element muss deshalb für den Kunden mit einem direkten Mehrwert verbunden sein. Der spielerische Ansporn sollte nur Mittel zum Zweck sein, um Kunden beim Erreichen eines gewünschten Ziels zu unterstützen oder teils komplexe oder unübersichtliche Banking-Produkte kundenfreundlicher und verständlicher aufzubereiten.
Gamification im Finanzdienstleistungssektor kennt im Wesentlichen folgende Zielsetzungen:
- Förderung der Sparkultur durch persönliche Ziele
Dies beinhaltet kurzfristiges Sparen, aber auch mittelfristige bis langfristige Investitionen und die Pensionsplanung.
- Verbesserung des täglichen Finanzmanagements
Kunden können Ausgaben einfach nachverfolgen, kategorisieren und den eigenen Budgetplan überwachen.
- Vermittlung von Finanzkompetenz
Apps erklären komplexe Finanzbegriffe wie Inflation, Liquiditätsmanagement oder Anlagestrategien durch Filme, Simulationen oder Spiele.
- Kundenbindung und Erschließung neuer Zielgruppen
Gamification ermöglicht Finanzdienstleistern, sich als innovative, kundennahe und kostengünstige Akteure auf dem Markt zu positionieren und traditionellen Geldinstituten Kunden abzuwerben. Zum Beispiel führen schlanke Strukturen und niedrigere Managementgehälter zu minimalen Fixkosten. Infolgedessen können Fintechs ihren Kunden besonders niedrige Gebühren berechnen – oder Banking-Services sogar gratis anbieten.
- Förderung des Community-Gedankens
Finanz-Apps fördern den Austausch zwischen Kunden und dem eigenen Unternehmen in internen Foren oder Chatgruppen.
Finanz-Apps mit Gamification-Elementen: Kinderleichte Nutzung
Gegenwärtig gibt es bereits zahlreiche, erfolgreiche Finanz-Apps, die Gamification-Elemente beinhalten. Dazu zählen zum Beispiel Apps zum Finanzmanagement, Neobroker oder Apps für digitale Investments. Gamification-Elemente sind dabei zum Beispiel Financial Scores, die die Beurteilung des persönlichen Finanzstatus auf einer Punkteskala bewerten, “Spielgeld” zum Sammeln von erster Börsenerfahrung oder Fortschrittstracker zum Erreichen persönlicher Sparziele. Auch ein intuitives Design unterstützt den schnellen Einstieg, das problemlose Zurechtfinden im Interface und die kinderleichte Nutzung der angebotenen Funktionen.
Viele Fintech-Apps punkten zudem durch eine aktive Community, eine Knowledgebase und aktuelle, leicht verständliche Finanzmarkt-Berichte. Die Coronakrise scheint den Trend zu digitalen Finanzdienstleistungen zu beschleunigen. So gewann die Robinhood-App, ein Neobroker aus den USA, allein in diesem Jahr bisher drei Millionen Kunden hinzu. Vor ein paar Monaten geriet Robinhood jedoch in die Kritik: Die Plattform sei zu spielerisch und spreche somit primär unerfahrene, junge Anleger an.
Geringe Hürden, hohes Risiko – Gamestopper Gamestop?
Gamification birgt natürlich auch gewisse Risiken: Die Belohnungen können riskante beziehungsweise falsche Anreize setzen. Ein sogenanntes “Addictive Design” kann suchtähnlichen Mehrkonsum oder sogar Krankheitszustände wie Aufmerksamkeitsstörungen nach sich ziehen. Kritiker wie Tim Berners-Lee oder Tristan Harris, Begründer der Time Well Spent-Bewegung und des Center for Humane Technology, fordern daher schon länger ethische Regeln für Web-Technologien.
Die Risiken gamifizierter Finanzplattformen wurden Anfang 2021 offensichtlich: Auf der Social-Media-Plattform Reddit verabredeten sich Kleinanleger gegen Hedgefonds, die auf fallende Kurse von Aktien, wie beispielsweise Gamestop, gewettet hatten. Privatanleger kauften diese ihrer Meinung nach „unterbewerteten” Aktien über Neobroker wie Robinhood und trieben auf diese Weise die Kurse in die Höhe. Dabei verdienten manche Spekulanten viel Geld, andere verzeichneten dagegen massive Verluste, die sie mit anderen Trades wieder zu kompensieren versuchten. Ein Muster, das der Glücksspielsucht ähnelt.
Dass Börsenspekulationen per App ähnliche Gefahren bergen wie Glücksspiel, findet auch Gerhard Meyer, Suchtforscher an der Universität Bremen: „Wer erfolgreich ist, bei dem ruft das natürlich ein Glücksgefühl hervor.“ Verliert eine Aktie dagegen an Wert, kann der Anleger sofort wieder auf ein anderes Unternehmen spekulieren und das berauschende Gefühl mit der Hoffnung auf die neue Wette reaktivieren. Dazu kommt noch, dass Aktien gemeinhin nicht als Suchtmittel, sondern Finanzinstrument wahrgenommen werden. Dadurch suggerieren sie weniger Risiko, als beispielsweise Roulette oder andere Glücksspiele.
Wertpapiere in den Händen sachkundiger Investoren sind eine Bereicherung für jedes Portfolio. Börsen-Novizen sollten sich jedoch erst die nötige Expertise aneignen und sich nicht durch die scheinbar spielerische Aufmachung mancher Neobroker zu spekulativen Transaktionen verleiten lassen.
Fazit: Sicherheit und verantwortungsvolles Design geht vor
Trotz zahlreicher positiver Aspekte, die Gamification für Finanzdienstleister und Kunden birgt, sollten Aufklärung und die Anforderungen an Sicherheit, Compliance und Kontrolle im Vordergrund stehen. Gamification muss bewusst und verantwortungsvoll eingesetzt werden, da sonst gegenteilige Effekte eintreten können, die sowohl das Kundenvertrauen als auch die Branchenreputation beschädigen.
Für Kunden von digitalen Finanzdienstleistungen gilt: Intelligentes Design ersetzt nicht fundiertes Wissen. Auch wenn der verbesserte Komfort sicherlich ein zentraler Gewinn der Digitalisierung ist, darf die Kontrolle der eigenen Finanzen nicht aus dem Blick geraten.