Beteiligung statt Enteignung: Innovative Ideen gegen den Wohnungsmangel
Der Wohnungsmangel in Großstädten wie Berlin ist ein Dauerthema. Attraktive urbane Gebiete sind Jobmotoren und ziehen jährlich tausende Zuzügler an. Obwohl die Digitalisierung potentiell viele innovative Lösungen in der Bauwirtschaft bietet, reichen die Neubauten nicht aus, um erschwinglichen Wohnraum für alle zu gewährleisten. Eine aktuelle Enteigungsinitiative will die stärkere Beteiligung der Bürger nun erzwingen, gefährdet dabei aber hauptsächlich dringend notwendige Investitionen.
Die Corona-Pandemie galt für viele als Hoffnungsschimmer auf dem Deutschen Immobilienmarkt. Denn dadurch bedingte Konjunktur-Bremsen wie Kurzarbeit, Stellenstreichungen und Investitionsangst sollten der jahrelangen Immobilien-Hausse ein Ende bereiten. Doch es kam anders als erwartet: Aufgrund der historisch niedrigen Zinsen, günstigen Darlehen, einem knappen Immobilienangebot in begehrten Lagen und einer gleichzeitig starken Nachfrage setzte sich der Höhenflug der Immobilienpreise fort – zum Leidwesen vieler Mieter, aber auch Kaufinteressenten und potenzieller Bauherren.
Preissteigerungen und Wohnungsmangel in Metropolen
Dies bestätigt die Studie „Postbank Wohnatlas 2021“ zur Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt: In mehr als 94 % aller deutschen Landkreise und kreisfreien Städte wurden Wohnimmobilien 2020 teurer – im Durchschnitt stiegen die Preise inflationsbereinigt um 9,6 % und damit mehr, als im Vorjahr.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich auf dem Mietmarkt ab: Insgesamt sind die Kaltmieten in Deutschland zwischen 2014 und 2019 im Mittel um 13,2 % gestiegen. Ausreißer nach oben gab es in den sogenannten Top-7-Städten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München und Stuttgart mit einer Mietsteigerung von rund 19 % innerhalb von fünf Jahren. 2020 hat sich der Preisanstieg in manchen Metropolen verlangsamt, lag aber immer noch im hohen, einstelligen Bereich. So kletterten die Mieten beispielsweise in Frankfurt und Berlin 2020 um 5,9 bzw. 6,7 %.
Die Dynamik auf dem Mietmarkt ließ 2021 bedingt durch Faktoren wie Einkommenseinbußen oder eingeschränkte Besichtigungsmöglichkeiten zwar etwas nach, doch von Entspannung kann keine Rede sein – zumal vor allem in Großstädten wie Berlin ein akuter Wohnungsmangel herrscht. Die mittlere Nettokaltmiete lag 2019 deutschlandweit bei acht Euro pro Quadratmeter. Im Jahr 2020 waren es 8,13 Euro, wobei in Großstädten wie München (20,55 Euro) oder Berlin (13,77 Euro) aktuell deutliche höhere, durchschnittliche Quadratmeterpreise aufgerufen wurden.
Infolgedessen fordert eine Berliner Initiative die Verstaatlichung von Wohnungsbeständen, um die Lage auf dem Mietmarkt zu entspannen. Erfahren Sie, welche Problematiken die sogenannte Enteignungsinitiative birgt und welche sinnvolle Stadtentwicklungs-Alternative es gibt.
Enteignungsinitiative gegen Wohnungsnot – sozial oder asozial?
Nach Jahren explodierender Immobilienpreise, Mieten und einer zunehmenden Wohnungsnot fordert das Bündnis der Berliner Grünen "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" die Vergesellschaftung von Wohnraum. Die Initiatoren setzen sich dafür ein, Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu "vergesellschaften", also gegen eine Milliardenentschädigung zu enteignen. Auf diese Weise sollen der Mietenanstieg gestoppt, Mieter geschützt, Spekulationen Einhalt geboten und der Anteil des gemeinwohlorientierten Wohnungsbestands auf 50 % erhöht werden. Insgesamt wären etwa 240.000 der rund 1,5 Millionen Mietwohnungen in Berlin betroffen, darunter rund 100.000 Objekte des Konzerns Deutsche Wohnen SE.
Die Berliner Grüne selbst betonte ihre kontrovers diskutierte Vorgehensweise in einem Beschluss damit, dass die Umstände sie dazu zwingen würden, “die Vergesellschaftung als letztes Mittel anzuwenden, um den verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen zu können”.
Das Ende Februar auf den Weg gebrachte Volksbegehren der Initiative läuft bis zum 25. Juni 2021. Haben sich bis dahin sieben Prozent der Wahlberechtigten zum Berliner Abgeordnetenhaus – also rund 175.000 Bürger – eingetragen, folgt ein Volksentscheid. Die geplante Enteignung von Wohnimmobilien sorgt jedoch bereits im Vorfeld für Konfliktstoff.
Hohe Hürden, geringer Rückhalt in der Bevölkerung
- Finanzierbarkeit
Zum Beispiel die Frage der Finanzierbarkeit. Die Bürgerinitiative rechnet für die Vergesellschaftung samt Entschädigung mit Kosten von acht bis 13 Milliarden Euro. Eine von der CDU genannte Entschädigungssumme beläuft sich dagegen auf bis zu 36 Milliarden Euro. Eine valides Preisschild lässt sich aufgrund zu erwartender, langfristiger und kostspieliger Enteignungsprozesse nicht definieren. In jedem Fall dürfte die sowieso bereits hohe Verschuldung des Landes Berlin exorbitant ansteigen.
- Wenig Rückhalt in der Bevölkerung
Auch die Einwohner selbst sehen die Enteignungsinitiative kritisch: Laut einer aktuellen Infratest-Umfrage im Auftrag der Berliner CDU sind nur 36 Prozent der Berliner für die Enteignungen von Wohneigentum. 51 Prozent sprechen sich dagegen aus und 13 Prozent sind sich nicht sicher oder enthalten sich.
- Juristische Hürden
Des Weiteren ist der Eigentumsschutz des Grundgesetzes kaum mit staatlichen Zwangsmaßnahmen vereinbar. Die Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" beruft sich auf das Grundgesetz wonach "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel" in Gemeineigentum überführt werden können. Womit im Übrigen Vergesellschaftung, nicht Enteignung gemeint ist. Nach Angaben von Verfassungsrechtlern wurde der fragliche Artikel 15 aber noch nie angewandt.
Unsere Gesellschaft und unser Rechtsstaat fußen außerdem auf den Freiheitsgarantien des Grundgesetzes. Dieses schützt das individuelle Eigentum in 14 Abs. 3 GG: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.“ Und auch nur, “ wenn kein milderes Mittel zur Verfügung stehen darf, das in gleicher Weise geeignet ist, den angestrebten Zweck zu erreichen.”
Enteignung von Wohneigentum untergräbt dringend notwendige Investitionspläne
Neben der genannten juristischen und finanziellen Hürden sprechen auch ideologische Gesichtspunkte gegen die Initiative der Berliner Grünen. Für den Bau dringend benötigter Wohnimmobilien ist die Stadt auf private und institutionelle Investoren angewiesen. Doch aufgrund des Mietendeckels und nun der geplanten Enteignungsinitiative ziehen sich immer mehr Geldgeber zurück – wodurch das Volksbegehren sein eigentliches Ziel Wohnraum zu schaffen, selbst sabotiert.
Rainer Schorr, Chef der PRS Family Trust GmbH in Berlin, erläutert, wie schädlich die geplante Enteignung für den Berliner Städtebau ist: „Vor allem große, institutionelle Investoren überdenken ihr Engagement in Berlin.“ Gerade sei ein großes Versorgungswerk aus Nordrhein-Westfalen abgesprungen. Geplant war der Kauf eines 200.000 Quadratmeter-Grundstücks für 100 Millionen Euro, auf dem in Absprache mit dem Bezirk Gewerbe und Wohnungen entstehen sollten, darunter auch mehr als 1.000 Sozialwohnungen. Jetzt sei das Geld „futsch für Berlin“.
Auch Jürgen Michael Schick, Präsident des Immobilienverbands Deutschland IVD, warnt vor den negativen Folgen für Berlin und seine Bürger: „Wenn das Begehren Erfolg haben sollte, droht dem Land Berlin und seinen Bürgern unweigerlich erheblicher Schaden. Kein Investor wird das Risiko mehr eingehen, im sozialistischen Berlin zu investieren, mit ruinösen Folgen für Wohnungsbestand, Wohnungsneubau und die Wirtschaft. Zudem müssen die Berlinerinnen und Berliner die finanziellen Folgen einer Enteignung über viele Jahrzehnte schultern. Rein rechnerisch müsste jeder Berliner sich mit 7.435 Euro an der Enteignung beteiligen, ohne dass sich für die Mieter der enteigneten Wohnungen oder für die Wohnungssuchenden in Berlin etwas verbessert. Die Entschädigungsfinanzierung wird zu massiven Einsparungen in allen anderen kommunalen Bereichen führen.“
Klar ist: Durch eine Enteignung würde kein Quadratmeter mehr Wohnraum geschaffen. Der Preisdruck dürfte jedoch aufgrund des knappen Wohnangebotes unverändert hoch bleiben. Deshalb ist es wichtig, alternative Lösungen zu erarbeiten und Investitionsbremsen auszuhebeln.
Ziel: Optimierung von Bau-Prozessen und Kosten
Die Bundesregierung hatte vor rund drei Jahren im Rahmen der Wohnraumoffensive gelobt, bis zum Ende der Legislaturperiode für den Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen zu sorgen. Laut jüngster Berechnungen sollen bis Ende des Jahres etwa 1,2 Millionen Objekte fertiggestellt sein. Zusätzlich rechnet das Bauministerium mit etwa 770.000 Baugenehmigungen. Allerdings fehlt es weiterhin an bezahlbaren Wohnungen. und Neu- oder Umbauprojekte werden durch kostspielige und langwierige Genehmigungsprozesse erschwert.
Für eine dauerhafte Entspannung auf dem Wohnungsmarkt müsste dagegen nachhaltiger, effizienter, bedarfsgerechter und kostengünstiger gebaut werden. Zum Beispiel, indem Genehmigungsverfahren für Grundstücke und Bauprojekte digitalisiert und somit beschleunigt werden, die Wohngeldförderung ausgebaut wird und die Bauwirtschaft in den direkten Dialog mit interessierten Bürgern und Investoren tritt. Die Politik täte gut daran, statt ideologisch motivierter Rundumschläge mehr Pragmatismus walten zu lassen und lieber Geschäftsmodelle weiter zu unterstützen, die bereits zukunftsfähige Lösungen anbieten.