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Grundwissen Geldanlage

EU-Leitzins bleibt bei 4,5 Prozent: Was bedeutet die Zinspause für Sparer, Anleger oder Immobilienkäufer?

Die europäische Notenbank EZB hat am Donnerstag, 26. Oktober 2023, beschlossen, dass der EU-Leitzins erstmal bei 4,5 Prozent verharrt. Nach immerhin zehn Zinserhöhungsschritten in Serie ist eine Verschnaufpause auch durchaus angebracht. Doch die noch stets hohe Inflation in Kombination mit wirtschaftspolitischen Krisenherden sorgt für Zweifel am geldpolitischen Kurs der Notenbanker. Erfahren Sie, was das aktuelle Zinsniveau für die Wirtschaft und Verbraucher bedeutet, und welche Zinspolitik die EZB in Zukunft verfolgen könnte.

October 27, 2023
5
min read
FINEXITY
AG
Redaktion

Erste Zinspause seit Juli 2022

Generell sind Leitzinsen ein wichtiges geldpolitisches Instrument einer Notenbank. Denn Geschäftsbanken leihen sich Geld von Zentralbanken wie der EZB, um es als Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben. Wenn die Notenbank ihre Leitzinsen senkt, wird es günstiger, Geld zu leihen. Für Unternehmen rentieren sich Investitionen dann eher und Haushalte können ihren Konsum ausweiten, sodass letztlich das Wirtschaftswachstum anzieht. Entsprechend senkt eine Notenbank die Leitzinsen während eines Konjunkturabschwungs beziehungsweise während einer Rezession. 

So auch nach der Finanzkrise im Jahr 2008. Stufenweise reduzierten Zentralbanken rund um den Globus das Zinsniveau. Im Euroraum waren ab 2016 sogar Nullzinsen die Realität. Für Sparer brachen damit magere Zeiten an. Für Häuslebauer, Unternehmen und alle Marktteilnehmer, die von günstigen Krediten profitieren, waren die darauffolgenden Jahre jedoch “ein Gewinn”.

Doch aufgrund der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine kam die Weltwirtschaft wieder ins Stocken und in manchen Ländern droht sogar eine Rezession. Darauf reagierten Zentralbanken ab Juli 2022 wieder mit sehr deutlichen und raschen Zinsschritten. Denn es galt, die aufflammende, hohe Inflationsrate von in der Spitze 11,5 Prozent (EU, Oktober 2022) mit geldpolitischen Maßnahmen zu bekämpfen.

Nachdem die Teuerungsrate dadurch im September 2023 deutlich auf 4,3 Prozent gefallen war, ist die Diskussion um den weiteren Kurs der Notenbank voll entbrannt. Zwar ist die Inflation immer noch mehr als doppelt so hoch wie die anvisierten zwei Prozent und hält sich in vielen Bereichen sehr hartnäckig. Doch die Mehrheit des EZB-Rates sah aktuell keinen weiteren Handlungsbedarf und plädierte für eine Pause im Zins-Zyklus. Denn höhere Zinsen gelten zwar als Mittel gegen die Teuerung, da sie die Nachfrage und damit auch den Preisauftrieb dämpfen. Zugleich können steigende Zinsen das Wirtschaftswachstum aber hemmen. Aktuell ist beispielsweise ein deutlicher Rückgang der Kreditnachfrage von Haushalten und Firmen zu beobachten. Zum Beispiel bei Immobiliendarlehen. Aufgrund konjunktureller und weltpolitischer Sorgen beschloss die EZB bei ihrer jüngsten Oktober-Sitzung den Leitzins von 4,5 Prozent (zumindest vorerst) nicht mehr anzutasten.

Was bedeuten die hohen Zinsen für uns?

Tatsächlich ist das aktuelle Zinsniveau in etwa so hoch wie zuletzt zu Beginn der 2000er Jahre. Das hat weitreichende Konsequenzen für alle Marktteilnehmer:

  • Wirtschaft

Bei der Entscheidung der EZB dürfte auch die durch steigende Zinsen bzw. in Folge höhere Kreditkosten eingetrübte Konjunktur im Euroraum eine wichtige Rolle gespielt haben. So ist beispielsweise der Einkaufsmanagerindex trotz eines leichten Anstiegs noch immer nicht auf einem akzeptablen Niveau. Er lag im Oktober 2023 bei 39,6 Punkten, doch erst ab 50 Zählern signalisiert das Konjunkturbarometer ein Wachstum, darunter eine Schrumpfung.

  • Sparer

Obwohl die Zinsen auf dem aktuellen Niveau verharren, gibt es eine gute Nachricht für Sparer: Erstmals bieten manche Banken Zinskonditionen, die die Inflationsrate kompensieren. Einige Anbieter zahlen für Festgeldanlagen mit einem Jahr Laufzeit Zinsen von 4,75 Prozent, wie aus einer Auswertung des Vergleichsportals Verivox hervorgeht. Die Zinsen liegen damit oberhalb der Inflationsrate von 4,5 Prozent im September.

  • Immobilienbesitzer

Die Jahre 2016 bis 2022 waren geradezu paradiesisch für alle, die eine Immobilie kaufen oder renovieren wollten. Nullzinsen ermöglichten es auch Menschen mit geringerem Einkommen bzw. Ersparnissen, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Denn die monatliche Zinsbelastung für das Haushaltsbudget war zu vernachlässigen. Da viele jedoch ein Darlehen mit einer fünf- oder zehnjährigen Zinsbindung abgeschlossen haben, stehen die Immobilienbesitzer aufgrund des gegenwärtig hohen Zinsniveaus vor monatlichen Kosten, die sie nicht kalkuliert hatten - und möglicherweise auch nicht tragen können. Der Verkauf der Immobilie ist jedoch oft keine Option. Zum einen, weil vor der Zehnjahres-Frist meist eine Spekulationssteuer anfällt. Zum anderen, weil der Immobilienmarkt in vielen Teilen Europas in den vergangenen Monaten eingebrochen ist.

  • Aktionäre

Die Zinspause ist für Aktienbesitzer tendenziell eine gute Nachricht, da noch weiter steigende Zinsen Aktionäre dazu veranlassen würden, ihr Geld vermehrt in verzinste Anlageformen umzuschichten. Doch auch auf dem jetzigen Zinsniveau sind Festgeld & Co. attraktive Optionen. Zudem ist die Lage an den Aktienmärkten äußerst angespannt und vielen Investoren zu riskant.

  • Sachwerte-Investoren

Sachwerte-Investments wie z.B. Gold, Diamanten, Kunst oder Fine Wine sind dagegen relativ “immun” gegen Marktturbulenzen. Tatsächlich können sie vor allem in unsicheren Zeiten sogar als Depotabsicherung fungieren, wie die Goldpreisentwicklung zeigt: Im Oktober 2023 ist der Goldpreis in Euro fast auf ein Rekordhoch gestiegen.

Wie geht es weiter mit den Zinsen?

Trotz der jüngsten Zinspause ist es für Bundesbank-Präsident Joachim Nagel aber noch keine ausgemachte Sache, dass der Zins-Zyklus seinen Höhepunkt erreicht hat. Die Inflation könne auch schnell wieder anziehen. Eine weitere Zins-Anhebung im Jahresverlauf, also auf der Dezember-Sitzung des EZB-Rates, will er nicht ausschließen. Auch die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat ein ehrgeiziges Ziel vor Augen: “Wir wollen, dass die Inflation zurückgeht auf zwei Prozent und wir werden das erreichen", verspricht sie immer wieder. Doch viele Experten glauben nicht mehr daran, dass dies realisierbar ist. Denn zum einen lasten weltpolitische Konflikte und Kriege auf der Wirtschaft. Zum anderen gibt es strukturelle Veränderungen, auf die die EZB keinen Einfluss hat. So zum Beispiel die steigenden Ausgaben für den Klimaschutz, höhere Löhne, Produktionskosten sowie der intensivierte Wettbewerb - zum Beispiel in der E-Auto-Branche. Für Investoren bedeutet das: Wer Geld erfolgreich anlegen will, sollte flexibel bleiben und auf Marktveränderungen reagieren können. Auch ist es ratsam, das Portfolio diversifiziert zu strukturieren, um Klumpenrisiken zu minimieren.