Vorbild Schweden? Über die Chancen und Risiken der Bargeld-Abschaffung
Nur Bares ist Wahres oder rigorose Abschaffung von Bargeld? In skandinavischen Ländern mit Schweden als Vorreiter zahlen nur noch wenige mit Bargeld. Welche Argumente für und gegen die klassischen Bezahlmethode sprechen, und wie Fintech-Unternehmen digitale Transaktionen vorantreiben, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Die Redewendung „Nur Bares ist Wahres” hat für manche Konsumenten trotz alternativer Payment-Optionen wie Kartenzahlungen, Online- oder App-Transaktionen noch immer ihre Berechtigung. Zum Beispiel, weil Banknoten und Münzen vor allem in Deutschland einen hohen, emotionalen Stellenwert haben, aktuell noch fast überall akzeptiert und als „Notgroschen” zu Hause deponiert werden können. Kritiker bemängeln jedoch, dass Bargeld Betrügern und Geldwäschern in die Hände spielt, zinslose Ersparnisse das Wirtschaftswachstum hemmen und die Geldpolitik verkomplizieren.
Corona-Pandemie beschleunigt die Abschaffung von Bargeld
In der Pandemie ist die Bargeldnutzung in Deutschland deutlich zurückgegangen. Teils aus Sorge vor einer eventuellen SARS-CoV-2-Infektion durch Banknoten und Münzen bzw. der Aufforderung vieler Händler, kontaktlos zu bezahlen. Teils, weil Konsumenten mehr Geld im Internet ausgaben, wie z.B. für Online-Shopping oder Streaming.
Zwar war Bargeld im deutschen Einzelhandel mit einem Umsatzanteil von 40,9 Prozent 2020 noch die dominierende Zahlungsart. Doch im Vergleich zum Vorjahr verlor Bargeld 5,6 Prozentpunkte. Demgegenüber gewann die Girocard mit einem Anteil von 40,1 Prozent plus 6,5 Prozentpunkte gegenüber 2019.
Beim Bezahlvorgang im Online-Handel konnten deutsche Kunden 2020 im Schnitt aus acht unterschiedlichen Zahlungsarten wählen. Der Kauf auf Rechnung, Lastschrift und Kreditkarte waren die umsatzstärksten Zahlungsarten im E-Commerce. Auch die Anzahl der Onlineshops, die mobile Bezahlverfahren wie Apple Pay und/oder Google Pay anbieten, ist im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozentpunkte auf 4,8 Prozent gestiegen.
Europaweit ist eine noch prägnantere Abkehr vom Bargeld zu verzeichnen. Laut einer aktuellen Studie bezahlen in zehn europäischen Ländern im Schnitt nur noch 36 Prozent der Verbraucher am liebsten bar. Vor einem Jahr waren es mit 43 Prozent noch deutlich mehr. Weltweit hat die Corona-Pandemie den Wechsel von Bargeld auf digitale Zahlungen um drei bis fünf Jahre beschleunigt. So werden bargeldlose Transaktionsvolumen global bis 2025 um mehr als 80 Prozent auf 1,9 Billionen (2020: 1 Billion) zulegen. Bis 2030 dürfte sich die Zahl der digitalen Zahlungen pro Person nahezu verdreifachen. Im weltweiten Vergleich wird die Asien-Pazifik-Region am schnellsten wachsen, gefolgt von Afrika und Europa.
Skandinavische Länder im bargeldlosen Zahlungsverkehr führend
Innerhalb Europas gibt es aktuell allerdings noch sehr große Unterschiede: In Österreich und Deutschland ist Bargeld trotz der Corona-Krise nach wie vor am beliebtesten. Dagegen spielt Bargeld in den Niederlanden, Dänemark, Finnland und Frankreich laut der Studie nur noch eine untergeordnete Rolle. Am Ende der Skala steht Schweden, wo nur noch 15 Prozent der Befragten bevorzugt mit Scheinen und Münzen zahlen.
Damit wird das Land seiner monetären Pionierrolle einmal mehr gerecht: Als erstes Land in Europa emittierte die schwedische Zentralbank 1661 Banknoten. Jetzt werden die Schweden wieder die ersten sein, die Banknoten abschaffen. Vielerorts wird bereits heute kein Bargeld mehr angenommen. Sogar Kleinstbeträge auf Märkten, für Spenden oder Zeitschriften werden mittels mobiler Kartenlesegeräte abgerechnet. Mittlerweile werden über 90 Prozent der Zahlungen in Schweden bargeldlos getätigt. Bis 2023 plant Schweden komplett bargeldlos zu sein.
Das Resultat der schwedischen Pionierarbeit ist bislang positiv und wird von der tech-affinen Gesellschaft getragen. Denn elektronisches Bezahlen steht im Einklang mit der fortschreitenden Digitalisierung und birgt Vorteile bei B2B- und B2C-Transaktionen. Beispielsweise fallen keine Kosten für den Transport von physischem Geld an, Beträge werden exakt und schnell beglichen und Bargeld-Diebstahl oder Raubüberfälle auf Banken und Geldtransporter sind stark zurückgegangen.
Skeptiker sehen den Umstieg auf digitale Bezahlmethoden jedoch auf mehreren Ebenen kritisch. Zum einen, weil Menschen ohne Konto automatisch benachteiligt bzw. von bargeldlosen Transaktionen ausgeschlossen werden. Zum anderen ist auch die digitale Geldbörse nicht gegen Diebstahl durch Hacker oder einen „Blackout”, der das Stromnetz bzw. Internet lahmlegt, gefeit.
Datenschützer kritisieren zudem einen Eingriff in die Privatsphäre. Da bei jedem Zahlungsvorgang Transaktionsdaten generiert und erfasst werden, erhalten die Payment-Anbieter wesentliche Einsichten in das Verbraucherverhalten jedes Einzelnen.
Ökonomen wiederum argumentieren, dass Sparer ohne Bargeld den von Zentralbanken gesteuerten und von Geschäftsbanken weitergereichten Negativzinsen nicht mehr ausweichen können, indem sie ihr Geld abheben, ausgeben oder zu Hause deponieren. Die Bürger haben dann nur die Wahl zwischen realer Geldentwertung durch Strafzinsen oder Zwangskonsum.
Deutsche favorisieren Münzen und Scheine
Die Stimmung in Deutschland zur Abschaffung des Bargeldes folgt eher den negativen Aspekten. Die Bundesbürger würden eine Abschaffung des Bargelds in Deutschland bzw. seine Begrenzung kritisch sehen. Laut einer Studie des Bundesverbands deutscher Banken wollen acht von zehn Befragten auch künftig nicht auf Bargeld verzichten. Aus mehreren Gründen: Bargeld hinterlässt keine „digitalen Spuren”, was für die um ihre Privatsphäre bedachten Deutschen ein wichtiges Pro-Bargeld-Argument darstellt.
Auch machen physische Scheine und Münzen Sparer gegenüber den Geldinstituten autonom: Vertraut man seiner Bank nicht mehr, kann man Bargeld einfach abheben. Des Weiteren behält man mit Bargeld mehr Kontrolle über die eigenen Ausgaben, wohingegen Transaktionen über Karte, Smartphone oder Onlineplattformen erst beim Blick auf den Kontostand offensichtlich werden.
Doch auch in Deutschland kennen bargeldlose Zahlungen Vorteile. Händler hätten geringere Kosten für die Verwaltung von Bargeld und möglicherweise höhere Einnahmen, da Kunden dazu tendieren, kontaktlos oder mit Karte mehr Geld auszugeben. Privatpersonen können Transaktionen kostengünstig, schnell, einfach und sicher abwickeln und würden weniger Bargeld zinslos zu Hause „lagern”.
Auch die Wirtschaft würde von der Digitalisierung des Geldwesens profitieren, das sich mit der rasch fortschreitenden Digitalisierung auch die Anforderungen an Geld und Bezahlvorgänge ändern. Die Industrie 4.0 wird zunehmend Realität. Komplexe, digital integrierte Wertschöpfungsketten entstehen, Geschäftsprozesse laufen vollständig automatisiert und synchron ab und im Internet der Dinge können Maschinen eigenständig miteinander kommunizieren und Zahlungen abwickeln.
Dies geht nur mit verlässlichen Paymentlösungen und Digitalwährungen wie dem geplanten E-Euro. Bis 2023 befindet sich der E-Euro noch in einer Untersuchungsphase. Über die genaue Ausgestaltung wird noch diskutiert, aber zwei Parameter stehen schon jetzt fest: Der digitale Euro wird von der EZB ausgegeben und kontrolliert und soll Bargeld lediglich sinnvoll ergänzen, nicht ersetzen. Zudem behält die Zentralbank im Unterschied zum Bitcoin und anderen Kryptowährungen die Kontrolle über die Digitaldevise und will damit Stabilität und Sicherheit garantieren.
Kryptowährungen ebnen den Weg für DeFi
Generell sollte man digitale Währungen nicht mit Kryptowährungen wie dem Bitcoin verwechseln, die unregulierte Spekulationsobjekte sind, sehr stark im Wert schwanken und dem Risiko eines Totalverlusts ausgesetzt sind. Somit erfüllen Bitcoin & Co. nicht die wichtigsten Grundfunktionen von Geld als Wertspeicher und Tauschmittel.
Doch die Blockchain-Technologie, auf der Bitcoin und die meisten anderen Kryptowährungen basieren, hat einen wichtigen Grundstein für die Entwicklung des gesamten DeFi (Decentralized Finance) Sektors gelegt. DeFi ist ein offen zugängliches Ökosystem für Finanz-Anwendungen, die auf Basis der Blockchain-Technologie entwickelt werden, regulatorische Anforderungen erfüllen, aber ohne Intermediäre wie Banken funktionieren. Applikationen laufen auf öffentlichen und programmierbaren Blockchain-Netzwerken und besitzen eine Smart-Contract-Funktionalität.
Smart Contracts sind Programme, die hinterlegte Regeln und vorab definierte Bedingungen automatisch ausführen können. Mit ihnen kann ein Großteil des Leistungsumfangs von Geldinstituten abgedeckt werden. So zum Beispiel die Kreditvergabe oder der Handel mit Finanzprodukten. Des Weiteren könnten mithilfe der Blockchain-Infrastruktur sogar Sachwerte wie Immobilien, Kunst, Classic Cars oder Diamanten über spezialisierte Marktplätze emittiert, tokenisiert (in kleinere, digitale Einheiten zerlegt) und von Marktteilnehmern gehandelt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung durchaus Vorteile für das Finanz-Ökosystem birgt. Sei es in Form digitaler Bezahlmethoden, regulierter, von Zentralbanken emittierter Digitalwährungen oder tokenisierter Vermögenswerte. Mithilfe der Blockchain können Transaktionen schneller, kostengünstiger und niedrigschwelliger abgewickelt werden als mit traditionellen Fiatwährungen – und das unter Wahrung regulatorischer und sicherheitstechnischer Anforderungen.