Judgement of Paris: Der Ritterschlag für kalifornische Weine
Im Mai 1976 wurde Weingeschichte geschrieben. Damals trafen sich sachkundige Juroren im Intercontinental Hotel Paris zu einer Blindverkostung, die der gesamten Branche die Augen öffnete: Nicht die so populären und hochgelobten französischen Weine gewannen, sondern kalifornische Tropfen erhielten die Bestnoten. Dieses Event verhalf Weinen aus den USA zum internationalen Durchbruch und gilt deshalb als “absoluter Wendepunkt” der Branche. Der einzige anwesende Journalist, George M. Taber vom Time Magazine, schrieb später in seinem Artikel, dass "das Undenkbare geschah", und gab dem Ereignis in Anspielung auf die griechische Mythologie den Namen "Judgement of Paris".
Die “Weinjury von Paris” 1976
Am 24. Mai 1976 organisierte Steven Spurrier, ein Engländer, der eine Weinhandlung und eine Weinschule in Paris betrieb, eine Blindverkostung, bei der keiner der Juroren zuvor die Identität der Weine kannte. Die Jury bestand aus elf über jeden Zweifel erhabene Autoritäten bzw. erfahrene Weinkritiker:
- Steven Spurrier
- Patricia Gallagher von der Academie du Vin
- Odette Kahn, Herausgeberin der Revue du Vin de France
- Jean-Claude Vrinat, Eigner des Sterne-Restaurants “Taillevent“
- Raymond Oliver, Inhaber des Restaurants “Le Grand Vefour“
- Christian Vanneque, Sommelier des Sterne-Restaurants “La Tour d’Argent“
- Aubert de Villaine, Winzer, Teilhaber der “Domaine de la Romanée-Conti“
- Pierre Tari, Eigentümer des “Château Giscours“ bei Bordeaux
- Pierre Brejoux, Generalinspekteur des französischen AOC-Institutes
- Michel Dovaz vom französischen Weininstitut
- Claude Dubois-Millot
Im Rahmen der Blindverkostung ließ Spurrier französische Weine gegen kalifornische Weine antreten und wählte jeweils zehn Weiß- und Rotweine aus. Ziel der Veranstaltung war es, die Qualität kalifornischer Weine zu offenbaren, die zu dieser Zeit noch ein Schattendasein fristeten. Denn die landläufige Meinung damals war, dass Frankreich die besten Weine der Welt herstellte, während das Napa Valley noch nicht auf der önologischen Landkarte zu finden war – sodass das Ergebnis als vorhersehbar galt. Was zu dieser Zeit deshalb keiner erwartet hat – auch nicht der Organisator Steven Spurrier selbst – war, dass in beiden Kategorien kalifornische Weine den ersten Platz erringen würden.
Überraschungssieger: Kalifornische Weine
Die kalifornischen Weine punkteten bei den Juroren und gewannen sowohl in der Rot- als auch in der Weißweinkategorie, wobei sie sich gegen legendäre Châteaux und Domänen aus Bordeaux und Burgund durchsetzten. So waren drei der vier Bordeaux-Weine der Verkostung aus dem hervorragenden Jahr 1970, das von dem Conseil Interprofessionel du Vin de Bordeaux als einer der vier besten Jahrgänge seit 1930 identifiziert wurde.
In der Kategorie Rotwein gewann der 1973er Stag’s Leap Wine Cellars Cabernet Sauvignon und übertraf damit renommierte Bordeaux-Weine wie Château Mouton-Rothschild und Château Haut-Brion. Der Gewinner-Wein stammte vom zu dieser Zeit unbekannten Winzer Warren Winiarski – ein Wein-begeisterter Uni-Dozent aus Chicago, der Mitte der 1960er mit seiner Frau nach Kalifornien ausgewandert war, um dort Weinmacher zu werden. Er wurde Assistent von André Tchelistcheff, der ebenso osteuropäische Wurzeln hatte wie die Familie von Winiarski und übrigens auch Mike Grgich – ein Winzer des Chardonnay, der das Judgement of Paris der Weißweine gewonnen hat. 1966 begann Winiarski dann mit dem Bau der ersten brandneuen Weinkellerei, die das Napa Valley seit der Prohibition gesehen hatte. Winiarski arbeitete die nächsten zwei Jahre als Assistent des Winzers Robert Mondavi und war der erste Angestellte der legendären Robert Mondavi Winery. Mit wachsendem Selbstvertrauen machte er sich 1968 auf die Suche nach neuem Land, auf dem er seinen eigenen Weinberg und sein eigenes Weingut errichten konnte: Stag’s Leap Wine Cellars. Dieses ist noch immer bekannt für seine hoch prämierten Cabernet Sauvignons.
Als das Ergebnis der Blindverkostung verkündet wurde, gab es ungläubiges Staunen und peinliche Stille. Einige Jurymitglieder wollten den Stimmzettel zurückhaben, um nochmals bewerten zu können. Einige weigerten sich, das Ergebnis zu unterschreiben und warfen Spurrier sogar Manipulation vor. Auf jeden Fall erschütterte das Ergebnis die Weinwelt und führte in der Folge zu hitzigen Diskussionen – und weiteren Weinproben in den Jahren 1978, 1986 und 2006.
Neuverkostungen zeigen ähnliche Resultate
Ein wesentlicher Kritikpunkt der Jury hinsichtlich der Ergebnisse des Judgement of Paris war nämlich, dass die kalifornischen Weine nicht reifen würden und die französischen Weine gewinnen sollten, wenn sie in 30 Jahren erneut verkostet würden. Deshalb organisierte Steven Spurrier am 24. Mai 2006 die geforderte Wiederholung des Judgement of Paris – dieses Mal mit gleichzeitigen Verkostungen in London und im Napa Valley im Museum Copia. Das eindeutige Ergebnis untermauerte erneut die bisherigen Resultate. Die ersten fünf Plätze belegten kalifornische Weine, der “Ridge Vineyards Monte Bello“ lag bei beiden Verkostungsteams an der Spitze.
Das Judgement of Paris beendete eine Ära, in der man glaubte, dass gute Weine nur aus Frankreich kommen. Heute werden ikonische Weine aus dem Napa Valley, wie Schrader Cellars, Harlan Estate, Screaming Eagle, Opus One, Dominus und andere, zu drei bis vierstelligen Preisen pro Flasche gehandelt und eigenen sich somit auch hervorragend als Fine Wine Investments. Denn die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Weinmarkt sich unabhängig von anderen Anlageklassen entwickelt, eine geringe Volatilität aufweist und in den zurückliegenden 10 Jahren Renditen von rund 12 % p.a. erzielt hat. Das verdeutlicht, wie attraktiv ein Fine Wine Investment als “geschmackvolle” Beimischung zu einem klassisch strukturierten Portfolio sein kann.