Shortseller: Ist die Zeit der Wetten auf fallende Kurse vorbei?

Wenn die Aktienkurse in den Keller rauschen, ist das zumeist ein schwarzer Tag für Börsianer. Doch einige Trader freuen sich auch über fallende Kurse: Sogenannte Shortseller wetten auf den (temporären) Niedergang eines Unternehmens und können gut daran verdienen – wenn ihre Wette aufgeht. Anfang 2025 hat sich jedoch der bekannte US-Leerverkäufer Hindenburg Research überraschend aufgelöst. Sollte diese Entwicklung eine Warnung an die Shortseller-Branche sein? Und können Privatinvestoren eigentlich auch Aktien “shorten”?
Hindenburg Research, einer der weltweit bekanntesten und umstrittensten Shortseller, hat nach rund acht Jahren Mitte Januar 2025 seinen Betrieb eingestellt. Jedoch nicht aus Erfolglosigkeit, sondern ganz im Gegenteil: Der Gründer Nate Anderson sei „unbeschreiblich dankbar“. Was er und sein Team bei Hindenburg Research erreicht hätten, wäre weit über seine Vorstellungen hinausgegangen. So weit, dass er niemandem mehr etwas beweisen müsse – und er sein Unternehmen daher nun beruhigt schließen könne. Die Nachricht wurde von den Finanzmarktteilnehmern mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Während sich Shortseller fragen dürften, ob die “Boom-Phase” vielleicht vorbei ist, sind einige börsennotierte Konzerne erleichtert darüber, dass die “Hindenburg-Gefahr” gebannt ist. Aus guten Gründen …
Wie funktioniert Shortselling eigentlich?
Der Schwerpunkt von Hindenburg Research waren aktivistische Leerverkäufe und die Erstellung öffentlicher Berichte, in denen das US-Unternehmen Firmen Betrug und weitere kriminelle Praktiken vorwarf. Die Berichte waren in der Regel das Ergebnis monatelanger, intensiver Recherchen. Solche Strategien werden oft eingesetzt, um überbewertete oder betrügerische Unternehmen zu entlarven, woraufhin die Aktienkurse abstürzen können. Allerdings stehen Shortseller auch häufig in der Kritik, da sie Panik an den Märkten auslösen können.
Doch wie funktionieren diese sogenannten Short-Attacken eigentlich? Für ihre “Angriffe” leihen sich die Shortseller Aktien, von denen sie glauben, dass der Kurs fallen wird, und verkaufen sie sofort. Sie setzen also darauf, dass sie die Aktie vor dem Rückgabetermin günstiger zurückkaufen können. Ihr Gewinn besteht dann aus der Differenz zwischen Verkaufs- und Rückkaufpreis. Hinter dieser scheinbar einfachen Transaktion steht eine komplexe Infrastruktur. Broker, Indexfonds und andere Marktteilnehmer agieren als Leihgeber für die Aktien, und der Shortseller zahlt eine Gebühr für das Leihen der Aktien. Zudem wird vorab ein fixer Termin vereinbart, an dem die jeweiligen Papiere wieder zurückgegeben werden müssen. Im Anschluss kann der Leerverkäufer diese an der Börse zum aktuellen Kurs verkaufen.
Manchmal reagieren die Märkte jedoch ganz anders, als erwartet. Wenn die Kurse steigen, statt zu fallen, müssen Shortseller die Wertpapiere im ungünstigsten Fall zu einem teureren Kurs zurückkaufen und realisiert damit einen Verlust, der nahezu unbegrenzt hoch ausfallen kann.
Historische Shortseller-Coups
Oft sind Short-Attacken jedoch auch von Erfolg gekrönt. In jüngster Zeit gerieten beispielsweise Unternehmen wie Nikola, Wirecard und Tesla ins Visier von Shortsellern:
- Nikola: Hindenburg Research veröffentlichte im September 2020 einen Bericht, in dem dem Elektrofahrzeug-Startup Nikola betrügerische Praktiken unterstellt wurden. Der wohl bekannteste Vorwurf war, dass Nikola ein Werbevideo eines angeblich funktionierenden Trucks zeigte, der in Wahrheit nur einen Abhang hinunterrollte. Nach Veröffentlichung des Berichts stürzte die Nikola-Aktie innerhalb weniger Tage um mehr als 40 % ab. In der Folge trat Gründer Trevor Milton zurück, und das Vertrauen in das Unternehmen war schwer erschüttert.
- Wirecard: Wirecard war eines der größten deutschen Finanztechnologieunternehmen, bis Shortseller wie Fraser Perring und später die Financial Times Unstimmigkeiten in der Bilanz aufdeckten. Der Skandal eskalierte 2020, als bekannt wurde, dass 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten in Asien fehlten. Nachdem die BaFin zunächst versucht hatte Shortseller zu bremsen, brach die Wirecard-Aktie nach der Insolvenz im Juni 2020 um über 90 % ein – von rund 100 Euro auf wenige Cent. Shortseller haben dabei ordentlich Kasse gemacht und innerhalb weniger Tage Milliarden verdient.
- Tesla: Tesla war jahrelang eines der meist-geshorteten Unternehmen der Welt. Vorallem 2018, als das Unternehmen Produktionsprobleme hatte, spekulierten viele Shortseller darauf, dass Tesla dem Untergang geweiht war. Doch Elon Musk gelang es, das Unternehmen zu stabilisieren und die Produktion hochzufahren. Die Tesla-Aktie stieg in den folgenden Jahren massiv an, was bei vielen Shortsellern zu enormen Verlusten geführt hat, da die Aktie allein bis 2021 um über 1000 % zulegen konnte.
Weniger Aktivitäten bei Shortsellern
Die Leerverkäufer am deutschen Aktienmarkt zeigen sich laut Daten von S3 Research derzeit jedoch eher zurückhaltend. Seit nunmehr über einem Jahr pendelt das Short-Volumen um die Marke von 20 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Im Frühjahr 2023 lag das Volumen noch bei über 45 Milliarden Dollar. Ein wesentlicher Faktor für den Rückgang der Shortselling-Aktivitäten ist die veränderte Marktstruktur. In den vergangenen Jahren haben staatliche Hilfen, eine anhaltende Liquiditätsflut und optimistische Kleinanlegerbewegungen – Stichwort: Meme-Stocks wie GameStop – den Shortsellern das Leben schwer gemacht. Zudem gehen Regulierungsbehörden verstärkt gegen aggressive Leerverkaufsstrategien vor, was den Handlungsspielraum von Shortsellern weiter einschränkt. Im Januar 2025 war jedoch in Deutschland ein leichter Anstieg von 4% zu verzeichnen – möglicherweise mitunter dank der volatilen Märkte, die Aktien von “Börsenstars” wie Tesla oder Nvidia kräftig zugesetzt haben.
Dabei konnten Shortseller in einigen Fällen erhebliche Gewinne erzielen. Beispielsweise haben Hedgefonds-Leerverkäufer innerhalb der ersten drei Monate dieses Jahres rund 16,2 Milliarden Dollar mit Wetten gegen Tesla verdient, da der Aktienkurs des Unternehmens in diesem Zeitraum um etwa 50 % gefallen ist. Ähnlich profitierten Leerverkäufer von Nvidias Kursrücksetzer zwischen Januar und März 2025, der zu Milliardeneinnahmen geführt hat. Wie Yahoo Finance unter Berufung auf Daten von S3 Partners berichtet hat, brachte der Kurseinbruch Shortsellern mehr als vier Milliarden Dollar ein.
Sind Leerverkäufe eine Option für Privatanleger?
Angesichts dieser Zahlen dürften sich manche Kleinanleger fragen, ob mit Shortselling das große Geld zu machen ist. Natürlich kann die Wette auf fallende Kurse äußerst lukrativ sein, doch sie birgt auch erhebliche Risiken. Während bei klassischen Aktieninvestments der Verlust auf das eingesetzte Kapital begrenzt ist, können beim Shorten die Verluste theoretisch unbegrenzt sein, wenn der Kurs der leerverkauften Aktie stark steigt. Zudem erfordern Leerverkäufe eine hohe Marktkenntnis, schnelle Reaktionsfähigkeit und ein gutes Risikomanagement. Aus diesen Gründen sind “The Big Short”-Wetten zur langfristig sinnvollen Portfoliodiversifikation für Privatanleger eher nicht zu empfehlen.